Online-Podiumsdiskussion von Umweltzentrum Tübingen und BUND RV Neckar-Alb
Rund 60 Teilnehmer*innen und diverse Rückmeldungen zeigten, dass die Themenfelder Stadtnatur und Flächenkonkurrenz nicht nur in Tübingen ein brisantes Thema sind. Sonja Bluhm, Geschäftsführerin vom Umweltzentrum Tübingen e.V. (UWZ), begrüßte die Teilnehmenden und erläuterte das hinter der Veranstaltung stehende dreiteilige Projekt „Baum und Stadt(t)raum“. Lukas Kammerlander, BUNDJugend BW, moderierte sympathisch die Podiumsdiskussion. Jakob Scheuble, Mitglied des BUND RV und LV-Vorstand, kümmerte sich um die Technik, und Lisa Grötschel, Bundesfreiwillige beim BUND Regionalverband Neckar-Alb, übernahm die Zeitkontrolle. Sonja Bluhm und Swantje Uhde-Sailer, beide vom UWZ., sammelten während der Podiumsdiskussion die Fragen der Teilnehmenden aus dem Chat und stellten diese als Stellvertreter*innen des Publikums and die vier Podiumsgäste. Barbara Lupp, BUND-Regionalgeschäftsführerin, übernahm den Abschluss der gelungenen und interessanten Veranstaltung.
Andreas Faensen-Thiebes vom AK Stadtnaturschutz des BUND erläuterte nach einer kurzen Vorstellungsrunde die Bedeutung von Grünflächen für Erholung, Klimaschutz und Biologische Vielfalt. Er ergänzte, dass der Siedlungsraum für viele Tiere und Pflanzen auch deshalb von Bedeutung sei, weil Lebensräume im Umland abnehmen.
Barbara Landwehr, Stadtplanung Tübingen, betonte, dass sie ein „integratives Verständnis“ von Stadtplanung habe. Bebauung und Grünflächen müsse zusammen gedacht werden und sie versuche das insbesondere bei neuen Quartieren umzusetzen. Um Flächen zu sparen, müsse der Innenentwicklung Vorrang gegeben werden. Ein Problem sei es, die Grünflächen zu pflegen – es fehle an Personal und monetären Mitteln. Faensen-Tiebes erwiderte, dass Mitarbeiter*innen in einer Grünflächenabteilung gebraucht werden, die naturverträgliche Pflege umsetzten oder zumindest kontrollierten. Frau Landwehr stimmte ihm zu, und es sei in Planung zukünftig Teams zusammenzustellen, die für bestimmte Flächen verantwortlich sind.
Uwe Wulfrath, Geschäftsführer der GWG Tübingen, plädierte dafür „hoch zu bauen“ und weniger Rücksicht auf Anwohnerproteste zu nehmen. Das schaffe mehr Wohnraum auf selber Fläche und wäre günstiger als wenigstöckige Satteldachhäuser. Somit blieben auch mehr Mittel für die Gestaltung und Pflege der angrenzenden Grünflächen. Eine „dichte Stadt“ würde auch – mit diversen positiven Effekten – Verkehrsströme verringern.
Bei der Freiraumgestaltung sei „noch Luft nach oben“ und die GWG wolle bei Nachverdichtungsmaßnahmen zukünftig mehr Rücksicht auf das Bestandsgrün nehmen, so Herr Wulfrath. Immerhin kooperiere die GWG auf einigen Testflächen mit der Initiative „Bunte Wiese“; eine Fläche wurde auf Wunsch einer jungen Bewohnerin dafür ausgewählt. Nisthilfen an Gebäuden seien bei der GWG mittlerweile die Regel.
Herr Wulfrath erwähnte darüber hinaus die lange Warteliste von Wohnungssuchenden; die GWG sei einer der wenigen Bauträger*innen in Tübingen, die Wohnen zu bezahlbaren Preisen ermögliche. „Wir nehmen alles an Bauflächen, was wir bekommen können“. Hier regte Faensen-Thiebes eine gute Regionalentwicklung mit besserem ÖPNV an, damit nicht alle Leute in Boom-Städte wie Tübingen strömten. Er stellte das ungebremste Flächenwachstum grundsätzlich in Frage, schließlich sei die Ressource Boden nun einmal begrenzt. Und eine unverzichtbare Funktion sei die Erzeugung von Lebensmitteln. „Wir können uns den Flächenfraß in Deutschland sowie den Lebens- und Futtermittelimport ohne Rücksicht auf die dortige Bevölkerung nicht mehr leisten“, so sinngemäß Faensen-Thiebes. Der Geschäftsführer der GWG stimmte zu und verwies darauf, dass Lebensmittel zu realen Preisen (insbesondere bei naturschädlichem Anbau und weiten Transportwegen) angeboten bzw. Umweltfolgekosten miteingerechnet werden sollten. Das Stadtwachstum könne theoretisch auch gebremst werden, wenn die in den letzten Jahrzehnten gestiegene Wohnfläche/ Person wieder reduziert werden würde. Oftmals würden nur noch ein bis zwei Personen in einem Haus oder einer (zu) großen Wohnung wohnen. Die GWG baue mittlerweile wieder kleinere Wohnungen.
Frau Landwehr entgegnete, dass die Innenverdichtung auch Grenzen habe, insbesondere dann, wenn das Quartier nicht am Stadtrand mit direktem Anschluss an Wald und Wiesen läge. Wichtig sei in diesem Zusammenhang, so Faensen-Thiebes, Grünflächen vertraglich zu sichern. So würde die Akzeptanz für Nachverdichtungsmaßnahmen gefördert und wenig durchdachten, fortgesetzten Nachverdichtung minimiert werden.
Stefanie Herbst, Kommunen für Biologische Vielfalt, nannte zahlreiche konkrete Vorschläge zur Anlage und Pflege von Grünflächen sowie zur Steigerung der Akzeptanz von extensiv gepflegten, „unordentlicheren“ Wiesen. Wichtig sei es u.a., bei zukünftigen Baumpflanzungen „klimawandeltaugliche“ Bäume zu verwenden.
Sie plädierte für einen Beitritt zu dem Verein Kommunen für biologische Vielfalt. Dieser fördere den Austausch und die Vernetzung von Kommunen und verleihe jährlich mehrere Preise und Auszeichnungen an Städte und Gemeinden, die sich für die Förderung der biologischen Vielfalt einsetzten.
Auf die Frage, ob Tübingen eine Baumschutzsatzung anstrebe, um Bäume besser vor Beschädigung und Rodung zu schützen (und mehr wertzuschätzen), antwortete Frau Landwehr, dass sie früher in Fellbach gearbeitet hätte. Fellbach hat eine Baumschutzsatzung, doch sei ein Mehrwert aufgrund des bürokratischen Aufwands nicht erkennbar, so die Meinung von Frau Landwehr.
Im „Chat“, den alle Zuschauer*innen nutzen konnten, und dessen Fragen von Sonja Bluhm und Swantje Uhde-Sailer vom Umweltzentrum Tübingen e.V. gebündelt und vorgetragen wurden, ging es mit zahlreichen, detaillierten Fragen und Kommentaren rege zu. Das zeigt, dass diese Themenfelder nicht ausdiskutiert und die Herausforderungen der „Stadtnatur“ noch lange nicht gelöst sind. Wir bleiben dran!